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Claudia Neumann

»Gegenteil eines guten Christen«

Trier. Gestern wurde der vorläufige Abschlussbericht der wissenschaftlichen Studie zu den Umständen des Falles Edmund Dillinger vorgestellt.
Edmund Dillinger

Edmund Dillinger

Bild: Wiki Commons/Okami-san

Auftraggeber war die Unabhängige Aufarbeitungskommission zum sexuellen Missbrauch im Bistum Trier. Studienautoren sind die ehemaligen Staatsanwäte Jürgen Brauer und Ingo Hromada. Sie teilen mit:

19 Opfer sexuell missbraucht

»Nach der umfassenden Auswertung aller der Studie zur Verfügung stehenden Quellen, insbesondere der Akten des Bistums Triers und beteiligter Staatsanwaltschaften sowie der Befragung von mehr als 50 Zeitzeuginnen, Zeitzeugen und betroffenen Personen gelangt die Studie zu dem Ergebnis, dass Dillinger in der Zeit von 1961 bis 2018 19 Personen in verschiedenen Schweregraden sexuell missbraucht hat, von denen elf Opfer namentlich bekannt sind, sehr viele, nach ihrer Anzahl aber nicht annähernd zu beziffernde Personen von sexuell motiviertem Verhalten Dillingers betroffen wurden, indem sie in sexualisierten Posen fotografiert wurden, Berührungen in allen Körperregionen ausgesetzt waren oder Annäherungsversuche abwehren mussten.«

Vertuscht und totgeschwiegen

Die Verantwortlichen im Bistum Trier hätten insbesondere in den Jahren 1964 und 1970 unangemessen auf bekanntgewordene Missbrauchsfälle reagiert und diese vertuscht. Die frühere Schulleitung des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis hätte Dillinger nicht ausreichend überwacht und in den Pfarreien, in denen Dillinger als Seelsorger tätig war oder wohnte, in Vereinen, Verbänden und Verbindungen, in denen Dillinger Mitglied war, seien Vorfälle totgeschwiegen und Hinweisen oder »offenen Geheimnissen« nicht nachgegangen worden.

Auf dieser Grundlage kommt die Studie zu dem Schluss, dass Dillinger über Jahrzehnte das Gegenteil dessen vorlebte, was er in seinen Predigten, Vorträgen und Veröffentlichungen als ethisch, moralisch und gottgewolltes vorbildliches Leben eines guten Christen und Menschen zeichnete.

Beweismittel vernichtet

Die Autoren haben mit großer Verärgerung zur Kenntnis nehmen müssen, dass die saarländischen Ermittlungsbehörden mit für die Aufarbeitung und für potenzielle Opfer wesentlichen Beweismitteln verantwortungslos umgegangen sind und sie nahezu vollständig vernichtet haben, bevor eine Einsichtnahme erfolgen konnte. Enttäu-schend sei ferner, dass verschiedene Stellen, so zum Beispiel das Auswärtige Amt, Bitten um Auskunft oder Unterstützung völlig ignoriert hätten.

»Es ist kaum zu begreifen, dass eine Persönlichkeit wie Dillinger über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte – trotz allen Wissens über seine Übergriffigkeiten und Missbrauchstaten. Die Tatenlosigkeit und das Wegschauen von kirchlichen Verantwortlichen – was nur als bewusste Vertuschung gewertet werden kann – diente zuvörderst dem Schutz des guten Namens der Kirche und des Bistums. Alle Hinweise auf die Taten Dillingers wurden weitgehend ignoriert: Es sollte nicht sein, was nicht sein durfte und keine der intern bekannten Taten durfte öffentlich werden«, urteilt die Aufarbeitungskommission.

Exemplarisch verwies sie in diesem Zusammenhang darauf, dass das Bistum keine Bedenken gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Dillinger hatte, dass aber Bischof Stein fast zeitgleich seine Ernennung zum »Monsignore« kategorisch ablehnte.

Vernetzungen aufdecken

»Die Unabhängige Aufarbeitungskommission erkennt die in dem Bericht aufgeführten Vernetzungen von Dillinger in unterschiedlichen Gruppierungen. Die Rolle dieser Bündnisse beim Verschweigen und Verdecken der Missbrauchsfälle bedarf noch der Aufarbeitung. Dies gilt speziell für die Frage, wie sehr solche Gruppierungen im innerkirchlichen Dialog versuchen, die Bemühungen um Aufklärung des Missbrauchs zu konterkarieren. Die Kommission sieht die Bistumsleitung in der Verantwortung, sich in diesem Feld um mehr Transparenz zu bemühen.«

Desinteresse und bewusstes Ignorieren

Überdies bleibe der Eindruck, dass zumindest Desinteresse an dem Fall und möglicherweise an der gesamten Thematik auf behördlicher und politischer Seite herrschte. Im speziellen Fall dränge sich - beginnend bei der Schulaufsicht über die Strafverfolgungsbehörden bis hin zum Auswärtigen Amt - der Eindruck des immer bewussten Ignorierens auf. Diese Haltung begründe bis heute eine Mitverantwortung dafür, dass Täter wie Dillinger ohne Sorge vor Konsequenzen agieren konnten.

Kultur des Wegschauens

Die Unabhängige Kommission dankt allen, die – leider oft ohne Erfolg – versucht haben, das Handeln Dillingers zu stoppen. »Es erfordert Mut und Entschlossenheit – gerade gegen die Kultur des Wegschauens – Missstände zu benennen oder anzuzeigen. Es macht Hoffnung, dass alles Verdrängen und Verleugnen sexuellen Missbrauchs durch Bistumsverantwortliche irgendwann ein Ende findet – wenn auch (wie im Falle Dillinger) leider sehr spät.«

Weil trotz der intensiven Untersuchungen wichtige Fragen bisher offengeblieben sind, haben sich Jürgen Brauer und Ingo Hromada bereit erklärt, ihre Tätigkeit um ein weiteres Jahr zu verlängern. Mögliche Erkenntnisse aus noch laufenden Erkundigungen in afrikanischen Ländern sollen zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben werden.

Der Bericht ist unter www.aufarbeitungskommission.bistum-trier.de/jahresberichte/2024.de abrufbar

Edmund Dillinger, Ehrendomherr und Bundesverdienstkreuz-Träger, starb im November 2022. Nach seinem Tod fand sein Neffe Steffen Dillinger im Haus des Onkels im saarländischen Friedrichsthal umfangreiches fotografisches und filmisches Material.


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